Was macht eigentlich ein*e OncoCoach*in?

Wer saß nach einem Ärzt*innengespräch nicht schon mal da und hatte einen spontanen Fall von Amnesie, eine gähnende Leere der Ahnungslosigkeit, die sich langsam im Kopf ausbreitet. Fragen wie: „Was hat er/sie gesagt? Was muss ich jetzt tun? Wie war das nochmal mit den Tabletten?“ gepaart mit Selbstvorwürfen, wie: „Hätte ich doch nachgefragt! Das habe ich nicht verstanden!“ geistern einem im Kopf herum. Und es ist nicht, als hätte man nicht versucht aufmerksam zu sein, aber gerade, wenn man eine Krebsdiagnose neu gestellt bekommen hat, beschäftigen einen andere Fragen. Man sorgt sich, um sich, seine Familie, darum wie es weitergeht, ob es weitergeht und wie das alles wird. Vielleicht hat man Stichworte, wie „Chemotherapie“ oder „Nebenwirkungen“ aufgeschnappt, aber außer Angst zu verursachen, kann man sich darunter wenig vorstellen. Und wenn das Gespräch dann vorbei ist, kommt die Panik. Man versucht sich verzweifelt zu erinnern, doch die einzelnen Wortfetzen, die das Gehirn registriert hat, fügen sich zu keinem auch nur ansatzweise logischen Zusammenhang zusammen.

Genauso kann es einem nach dem ersten Gespräch mit Onkolog*innen gehen. Man weiß, man hat Krebs und es soll etwas dagegen getan werden, aber was und wie genau, das hat man nicht begriffen. Dass das besser gehen muss, damit Patient*innen gut vorbereitet in die Krebstherapie starten können, hat sich auch Dr. Welslau von der Onkologie Aschaffenburg gedacht und den OncoCoach ins Leben gerufen.

Was OncoCoach*innen sind, was sie machen und wie man eine*r wird, darüber haben wir mit Daniela Brunn gesprochen. Sie ist schon seit langem OncoCoachin und das mit viel Herzblut.

Daniela, warum wolltest du OncoCoach*in werden?

Bevor ich OncoCoachin wurde, hatte ich das Coaching ein paar Jahre vorher, als Angehörige von einem Patienten selbst erlebt. Damals war mein Vater neu zur Behandlung in der Praxis und meine Mutter hat gesagt: „Du bist vom Fach, komm doch mal mit, die wollen ein Gespräch mit dem Papa führen, bevor die Therapie losgeht“. Ich konnte mir nichts darunter vorstellen und dann saßen wir da und ich habe mich gewundert: „Wo ist denn der Arzt?“. Dann hat eine Krankenpflegerin angefangen uns den ganzen Ablauf zu erklären. Mir war gar nicht bewusst, an was ich da gerade teilnehme, aber ich war hinterher ganz begeistert. Jahre später, als ich in dieser Praxis angefangen habe zu arbeiten, wurde mir dieses Konzept nochmal vorgestellt und Dr. Welslau hat mir angeboten die Fortbildung zu machen.

Wir besprechen, wofür im Arztgespräch nicht genug Zeit ist.

Was macht man als Onkocoach*in?

Nach dem ärztlichen Erstgespräch haben wir OncoCoach*innen einen geschützten Raum, in dem wir ein weiteres Gespräch mit Patient*innen führen. Man kann sich das folgendermaßen vorstellen: Patient*innen kommen mit der Neudiagnose in die onkologische Praxis, der/die Ärzt*in bespricht mit ihnen die geplante Therapie und wir erledigen das Organisatorische. Dann machen wir einen Extratermin für das OncoCoaching-Gespräch. Dafür räumen wir uns bis zu einer Stunde Zeit ein, wo wir mit Patient*innen und im Idealfall einer Begleitperson besprechen, wofür im Arztgespräch nicht genug Zeit ist.

Was ist das zum Beispiel?

Patient*innen haben die Möglichkeit, alles, was sie nicht verstanden haben, oder was ihnen an Fragen durch den Kopf geht in Ruhe mit uns zu besprechen. Da geht es um Nebenwirkungen, um den Ablauf der Therapie und auch, was im Notfall zu tun ist. Wir sind im ambulanten Bereich tätig, das heißt, nach der Therapie, sind Patient*innen den Rest des Tages weitestgehend auf sich allein gestellt. Deshalb ist es wichtig Patient*innen zu erklären, was sie zu tun haben, wenn sie Fieber haben und unter welcher Notfallnummer die Ärzt*innen rund um die Uhr erreichbar sind.

Worauf achtest du im OncoCoaching-Gespräch?

Ich gehe auf die Bedürfnisse und Krankheitssituation von Patient*innen ein, denn ich habe den Riesenvorteil, dass ich sie in diesem Gespräch kennenlernen kann. Sollten wir zum Beispiel noch die Psychoonkologie hinzuzuziehen? Brauchen sie noch ein bisschen zusätzliche Unterstützung? Gerade wenn es auch um orale Therapeutika (°Chemotherapie als Tabletten oder Kapseln zum Schlucken) geht, da verschreiben wir ja oft Medikamente für viele tausend Euro und dann geht es um ganz einfache Fragen: ich habe einen älteren Herr vor mir sitzen, bekommt der denn die Tabletten überhaupt auf? Kommt der damit zurecht? Hat der diesen Medikamentenplan verstanden? Um solche Dinge geht es da.

Man hat da nicht diesen unbekannten Berg vor sich, sondern wir haben schon Druck und Ängste genommen.

Findest du es wichtig, dass dieses zusätzliche Gespräch mit einer Pflegekraft stattfindet?

Absolut, so findet das Gespräch auf einer anderen Ebene statt, wie wenn Patient*innen vor Chefärzt*innen sitzen. Auch wenn es während der Therapiezeit Fragen und Probleme gibt, kommen sie erstmal auf mich zu, weil sie einfach nicht so große Hemmungen haben, wie jetzt die Chef- oder die Oberärzt*innen nochmal anzusprechen. Zu mir kommen sie dann und sagen: das und das läuft nicht so. Auch die Angehörigen, die die Patient*innen mitbetreuen, die kennen uns ja auch und da ist dann so der Klassiker, dass gerade bei älteren Ehepaaren, die Ehefrau mir einen Zettel in den Therapiepass legt: er braucht die und die Medikamente oder er hatte Durchfall und will euch das nicht erzählen und dann lenken wir Patient*innen im Gespräch darauf hin: hakt es denn noch irgendwo? Dann sprechen Patient*innen auch mit uns darüber.

Was ist dir in dem Gespräch mit Patient*innen besonders wichtig?

Das ich ihnen klarmache: Sie sind dieser Therapie nicht schutzlos ausgeliefert. Man muss eine Nebenwirkung nicht aushalten, bis es nicht mehr geht, sondern man kann sich an jemanden wenden, der/die einem da durchhilft und einen an die Hand nimmt. Alle Patient*innen, die mit einer Chemotherapie bis jetzt wenig Berührungspunkte hatten, haben so eine Horrorvorstellung im Kopf. Das versuchen wir zunächst mal zu entkräften. Natürlich macht die Therapie etwas und es ist auch oftmals keine schöne Zeit, aber man ist nicht allein. Wir zeigen Patient*innen am Schluss auch die Tagesklinik, wo die ambulanten Therapien stattfinden. Das baut viel an Ängsten ab. Dadurch gehen Patient*innen gut vorbereitet in die Therapie, angstfreier und sicherer. Durch diese Vorteile sagen fast alle Patient*innen nach dem Gespräch: „Mir ist es jetzt viel leichter“. Man hat da nicht diesen unbekannten Berg vor sich, sondern wir haben schon Druck und Ängste genommen.

Kurz und kompakt:

Hier nochmal die Vorteile des OncoCoachings für Patient*innen und Angehörige im Überblick:

  • Ich weiß, was auf mich zukommt
  • Ich kenne meine Ansprechpartner*innen
  • Ich weiß, wie meine Begleitmedikamente einzunehmen sind
  • Ich kenne das Umfeld und die Gegebenheiten
  • Ich habe eine Vertrauensperson in der Praxis
  • Ich weiß an wen ich mich im Notfall wenden muss und was zu tun ist und verliere Hemmungen die Ärzt*in am Samstagabend „zu stören“, wenn ein Notfall eintritt.

Wie wird man OncoCoach*in?

Das sind zwei Blöcke: Einmal gibt es den Grundkurs und dann den Fortgeschrittenenkurs. Den Grundkurs kann jede*r machen, zum Beispiel auch Medizinische Fachangestellte (MFA) und den Fortgeschrittenenkurs kann machen, wer mindestens auch die 120 Stunden Onkologie-Fortbildung hat. Das sind dann Gesundheits- und Krankenpfleger*innen. Es sprechen Apotheker*innen über Wechselwirkungen, Nebenwirkungen und Therapieformen. Onkolog*innen sind mit dabei, die nochmal prinzipielle Dinge und Krankheitsbilder besprechen, Psychoonkolog*innen und Palliativmediziner*innen.

Dann gibt es auch nochmal Unterrichtseinheiten von OncoCoach*innen, wo es um Fragen geht, wie: Was soll ich in so einem Gespräch alles ansprechen? Was darf ich ansprechen, was nicht? Wie ist so eine Sprechstunde aufzubauen? Was brauche ich an Rahmenbedingungen dazu?  Das ist schon ein großes Paket, was da geboten wird.

Wie findet die Fortbildung statt?

Seit ein paar Jahren gibt es den Kurs rein online, das macht die Care and Coach Akademie. Da kann man sich den Kurs komplett frei einteilen. Auf dieser Plattform gibt es auch für schon ausgebildete OncoCoach*innen spezifische Fortbildungsthemen, da geht es dann wirklich um einzelne Therapien oder bestimmte Medikamente, um sich als Coach*in immer auf den neuesten Stand zu bringen. Beim OncoCoach-Kurs findet ansonsten ein Teil virtuell statt, der andere in Präsenz. Da wird viel mit Rollenspielen gearbeitet, das ist ja oftmals nicht so beliebt, aber dann kann man es wirklich nochmal live ausprobieren. So wird das Ganze dann auch sehr praxisnah besprochen und gezeigt und gelernt.

Icon wissenschaftliche Studie

Gut zu wissen: viele positive Effekte des OncoCoachings für Patient*innen konnten auch in Studien bereits nachgewiesen werden, zum Beispiel verbesserte sich das Wissen von Patient*innen zur Therapie und auch die Nebenwirkungen hatten sie besser im Griff.

Wie hilft dir die Weiterbildung im Alltag?

Bei meinen ersten Gesprächen habe ich mich immer rein noch auf diese Therapie fixiert. Nach der Ausbildung, in der es viel über Kommunikation und Gesprächsführung ging, habe ich gelernt, mir Patient*innen im Ganzen anzuschauen: „Wie geht es dir? Verstehst du mich?“ Ich schaue auch, wie hoch die Akzeptanz und die Kontrolle im Umgang mit der Erkrankung ist: sind Patient*innen sehr verzweifelt und mutlos? Oder sagen sie: „Jawoll, ich zieh das durch“. Wieviel Unterstützung braucht es? Muss ich immer wieder neu motivieren während der Therapie? Das lernt man in der Ausbildung. Und auch am Ende des Gesprächs das Ganze zu spiegeln, dass ich wirklich schau: haben sie mich wirklich verstanden? Wissen sie, wie die Medikamenteneinnahme funktioniert oder was sie im Notfall tun müssen? Ich gucke mir auch den Angehörigen an. Wie läuft es zuhause? Wie sind die Gegebenheiten? Man schaut aufs Komplettpaket, denn ich weiß: ich darf nicht nur auf die Therapie schauen, ich darf nicht stur die Nebenwirkungen aufzählen. Ich muss schauen, dass die Rahmenbedingungen stimmen, damit wir eine ambulante Therapie überhaupt machen können. Da stehen wir auch in der Verantwortung.

Wie meinst du das?

Ich hatte zum Beispiel mal ein Herr im Gespräch vor mir sitzen, der war von einem Freund begleitet und ich wollte ihm im Therapiepass kurz zeigen, wo unsere Notfallnummern stehen, und da sagt er: „Ich habe kein Telefon“. Da hat sich dann herausgestellt, dass der in katastrophalen Umständen gelebt hat, wo man dann erstmal eingreifen musste. Ich habe dann Dr. Welslau dazugeholt und dieser Patient musste dann erstmal in einer Pflegeeinrichtung untergebracht werden. Unter solchen Voraussetzungen konnten wir keine Radiochemotherapie machen, wenn er im Notfall nicht mal ein Handy hat, um Hilfe zu holen. Das wäre fahrlässig gewesen von uns. Die Therapie lief dann super.

Wie ist es für dich als OncoCoachin tätig zu sein?

Ich finde es für mich, die jetzt wirklich lange im Beruf als Krankenpflegerin tätig ist, eine ungemeine Aufwertung des Berufsbildes. Ich bekomme zunächst mal die Möglichkeit an diesen hochwertigen Fortbildungen teilzunehmen. Außerdem delegiert die Ärzt*in in diesen Coachings viel an mich. Das ist auch rechtlich abgesichert. Dieses Mehr an Verantwortung finde ich toll, ich bin eben nicht nur die Krankenschwester, die die Patient*innen durchschleust und vielleicht mal ein paar Chemo-Beutel dranhängt. Ich bin eine Beraterin und Begleiterin von Patient*innen bei der Therapie.

Icon Uhr

Im Verlauf mehr Zeit für Patient*innen zu haben, wäre ein großer Wunsch. 

Übernimmt die Krankenkassen die Kosten für eine*n OncoCoach*in?

Die Gespräche können leider (noch) nicht über die Krankenkasse abgerechnet werden. Da ist unser Chef seit Jahren dran aber momentan gehört das einfach zum Service, wenn man so will. Leider ist es nicht so, dass wir personell immer super aufgestellt sind, so dass es oftmals ein Kraftakt ist, dass wir uns für diese Gespräche Zeit nehmen. Aber auch für uns ist es danach leichter, weil die Patient*innen Bescheid wissen und entspannter sind. Bei uns werden pro Tag 50-60 Patienten behandelt, da hilft es, wenn ich nicht immer wieder alles von neuem erklären muss. Zudem können wir viele Fragen abfangen, so dass Patient*innen nicht unbedingt in die Sprechstunde kommen müssen. Davon profitieren auch die behandelnden Ärzt*innen.

Was wünscht du dir als OncoCoachin für die Zukunft?

Im Verlauf mehr Zeit für Patient*innen zu haben, wäre ein großer Wunsch. Wenn wir uns in der Therapie einfach mal zu Patient*innen setzen und fragen könnten: „Wie läuft es denn?“. Das ist eigentlich der Gedanke bei diesem Coaching. Wir machen das zwar, aber das ist dann leider deutlich kürzer.    

Informationen zur Weiterbildung OncoCoach

Wer jetzt unbedingt auch OncoCoach*in werden möchte und sich für die Ausbildung interessiert, kann sich hier informieren:

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Zuletzt geändert am: 30.04.2024
Autor: Redaktion StärkergegenKrebs

Dr.sc.med. Violet Handtke

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Riese, C., Beylich, A., Borges jr, U., Zamora, P., Baumann, W., & Welslau, M. (2015) Patientenkompetenz in der oralen Krebstherapie–PACOCT. In: Onkologische Pflege. 2(5), S.22-26.

Riese, C., Weiß, B., Borges, U., Beylich, A., Dengler, R., Hermes-Moll, K., at al & Baumann, W. (2017) Effectiveness of a standardized patient education program on therapy-related side effects and unplanned therapy interruptions in oral cancer therapy: a cluster-randomized controlled trial. In: Supportive care in cancer. 25, S.3475-3483.

Welslau, M., Riese, C., Beylich, A., Borges jr, U., Zamora, P., & Baumann, W. (2016) Patients ´ competence in oral cancer therapies. In: Breast. 14, S.4.

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