Medizinische Leitlinien - Bitte fahren Sie zur markierten Route

Medizinische Leitlinien sind das Navi für Mediziner*innen. Sie dienen Ärzt*innen und anderen medizinischen Berufsgruppen als Orientierung in der Behandlung von Gesundheitsproblemen aller Art. Vor allem in der onkologischen Praxis sind sie so alltäglich, wie das Verschwinden von Socken in der Waschmaschine. Patient*innen und Angehörige wissen allerdings nur selten von ihrem Nutzen, obwohl es mittlerweile sogar Patientenleitlinien gibt, die auf den ganzen Fachjargon verzichten und auch für Menschen ohne Medizinstudium verständlich sind.

Das Tolle ist, dass medizinische Leitlinien kein gut gehütetes Geheimnis sind und eingestaubt in unzugänglichen Bibliotheken liegen. Nein, Leitlinien sind öffentlich und für jeden zugänglich und können Patient*innen auf vielfältige Weise helfen: Zum Beispiel im Gespräch mit Ärzt*innen oder anderen medizinischen Berufsgruppen, bei der eigenen Entscheidungsfindung oder einfach nur, um die eigene Behandlung besser nachvollziehen zu können.

Wen es jetzt schon in den Fingern juckt, nach der nächstbesten Leitlinie zu greifen, den bitte ich um Geduld. Wir erklären erst nochmal genauer, was Leitlinien sind.

Wie schon erwähnt, kann man sich die Leitlinie als Navi vorstellen:

Start: Startpunkt ist das Gesundheitsproblem mit dem ein*e Patient*in in die Praxis oder das Krankenhaus kommt. Jetzt kann man die entsprechende Leitlinie zücken, denn die hilft einem bei den nächsten Schritten.

Ziel: Jetzt gilt es, wie in jedem Navi üblich, das Ziel einzugeben. Hierauf müssen sich die Behandler*innen mit Patient*innen einigen. Kann eine Heilung angestrebt werden? Eine Symptombehandlung? Oder eine Verbesserung der Lebensqualität?

 

Routenberechnung: Dabei berechnet das Navi normalerweise die besten Routen, aufgrund von relevanten Informationen, wie Stauinfos, Verkehrsfluss, und so weiter... Bei Leitlinien werden die unterschiedlichen Behandlungsmöglichkeiten ermittelt, basierend auf Expert*innenwissen, z.B. von Fachgesellschaften und aktuellen wissenschaftlichen Studien. Sie sind damit evidenzbasiert.

Während bei einem Navi meist nur die Dauer der Route zählt, werden bei Leitlinien andere Wertungen vorgenommen. Risiken und Nutzen verschiedener Behandlungen werden gegeneinander abgewogen und auch die Ergebnisse aus den Studien werden bewertet: Ist die Studie aussagekräftig? Fehlt noch etwas Wichtiges? Gelten die Ergebnisse nur für bestimmte Patient*innengruppen? Gibt es widersprüchliche Ergebnisse? Gibt es Unsicherheiten in Bezug auf bestimmte Behandlungen?

Vorgeschlagene Routen: Es werden verschiedene Behandlungsmöglichkeiten vorgeschlagen oder auch festgelegt, welche diagnostischen Maßnahmen es für zusätzliche Informationen zum Gesundheitszustand noch braucht. Müssen noch Blutwerte bestimmt werden? Oder ein bildgebendes Verfahren, wie ein MRT? Für die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten werden Risiken, Nutzen und die Voraussetzungen beschrieben. Das, was bestenfalls auch in einem Aufklärungsgesprächen mit Ärzt*innen stattfindet.

Route wählen: Sitzt man in einem E-Auto, auf einem Roller oder in einem LKW? Fährt man lieber Autobahn oder Landstraße? Gibt es noch ein Zwischenziel? Auch bei der Wahl der Behandlung spielen die individuelle Situation, beispielsweise weitere Erkrankungen, und auch Wünsche von Patient*innen eine Rolle. Aber auch Ärzt*innen können aus ihrer Einschätzung heraus einen Favoriten haben. Hier wird auch oft von „Handlungs- und Entscheidungskorridoren“ in Leitlinien gesprochen, was lediglich meint, dass es nicht den einen richtigen Weg für alle Patient*innen gibt. Die Behandlung wird mittels partizipativer Entscheidungsfindung ausgewählt – Patient*innen und Ärzt*innen entscheiden also gemeinsam.

Der Route folgen: Genau wie bei einem Navi, geben Leitlinien auch „Fahrpläne“ für die gewählte Behandlung und deren Ablauf vor. Hier kann es auch wieder Abweichungen geben, denn die individuelle Situation der Patient*innen ist immer richtungsweisend.

Sie haben ihr Ziel erreicht: Im besten Fall wird das gesetzte Ziel nach Durchführung der Behandlung auch erreicht und man kann die Leitlinie weglegen. Leider kann gerade eine onkologische Therapie aber auch wie eine Fahrt mit der Deutschen Bahn sein: Man will nach München Hbf und landet in Fulda.

Die Analogie mit dem Navi hat ihre Grenzen. Dann werden wir darauf zurückgeworfen, dass Menschen eben nicht wie Autos funktionieren und auch die Medizin noch nicht alles weiß. Leitlinien sind demnach wichtig, um die Qualität in der Medizin zu sichern, weil sie einen hohen Informationsstandard anstreben. Der Wehrmutstropfen ist, dass sie nur so gut sind, wie unser aktuelles Wissen.  

Wer nun neugierig auf mehr ist, kann weiterlesen. Wir erklären, wer für Leitlinien verantwortlich ist und ob sie jemand kontrolliert, was es für Leitlinien gibt und wie man sie als Patient*in oder Angehörige*r nutzen kann.

Wo kann ich medizinische Leitlinien finden?

Die AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V.)  hat ein Leitlinien Register und Patientenleitlinien.

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Zuletzt geändert am: 13.03.2024
Autor: Redaktion StärkergegenKrebs

Dr.sc.med. Violet Handtke

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