Verlässliche Gesundheitsinformationen im Internet: Fakten von Fake unterscheiden

Einleitung

Mein Wissenschaftlerinnenherz blutet regelmäßig, wenn mir erzählt wird, dass irgendein Nahrungsergänzungsmittel gleichzeitig Heuschnupfen, Osteoporose und Alzheimer heilen soll. Oder dass die Tochter der Nachbarin seit der Einnahme eines Vitaminpräparats nie wieder krank war – und selbst der Hund der Verkäuferin in der Bäckerei um die Ecke dank ätherischer Öle wieder aufblüht.

Gleichzeitig weiß ich aus eigener Erfahrung, wie verletzlich einen Krankheit macht. Man möchte etwas tun – irgendetwas –, um sich besser zu fühlen. Besonders dann, wenn die „Schulmedizin“ nicht die gewünschten Ergebnisse liefert, Diagnosen unklar bleiben, Beschwerden nicht ernst genommen werden oder man mit den psychischen Folgen der Erkrankung allein gelassen wird. In solchen Situationen wirken Erfolgsgeschichten und Versprechen wie rettende Strohhalme. Niemand ist davor gefeit – nicht einmal hartgesottene Wissenschaftler*innen. Und je schlimmer und aussichtsloser die Krankheit, desto eher ist man geneigt an wundersame Mittel zu glauben.

Wer im Internet nach Informationen zu Symptomen oder Krankheiten sucht, landet schnell in einem Strudel aus Fakten, Halbwahrheiten und Desinformation. Besonders bei häufigen Erkrankungen ist die Menge an Treffern überwältigend – man könnte tagelang durch Artikel und Foren scrollen. Hinterher ist man allerdings meist verunsicherter als vorher und schlauer ist man auch nicht immer.

Um sich in diesem Dschungel nicht zu verirren, ist es entscheidend, Gesundheitsinformationen einordnen zu können – und vor allem: verlässliche von fragwürdigen Quellen zu unterscheiden. Dabei hilft ein grundlegendes Verständnis davon, wie gute Wissenschaft funktioniert. Ein guter erster Schritt ist es, sich eine Haltung anzueignen, die jede*r Wissenschaftler*in verinnerlicht hat – und die manchmal durchaus anstrengend sein kann: kritisch sein.

Kritisch sein – was heißt das eigentlich?

Kritisch zu sein bedeutet nicht, dass man gar nichts mehr glauben darf oder grundsätzlich alles ablehnt. Es heißt, Dinge zu hinterfragen – bewusst, differenziert und mit einem wachen Blick. Gerade bei Gesundheitsinformationen lohnt es sich, genauer hinzusehen. Hier ein paar wichtige Fragen, die man sich stellen sollte:

Wer steckt hinter der Information?

Habe ich etwas von einer Influencerin, einem Fitnesscoach oder meiner Nachbarin gehört, ist Vorsicht geboten. In solchen Fällen sollte ich die ursprüngliche Quelle hinterfragen – und im Idealfall selbst nachprüfen.

Doch auch medizinisches Fachpersonal ist nicht unfehlbar. Ich selbst habe schon von Physiotherapeut*innen, Apotheker*innen und sogar Ärzt*innen sehr fragwürdige Aussagen gehört. Daher lohnt es sich fast immer, nachzuforschen, eine zweite Meinung einzuholen oder unabhängige Quellen zu Rate zu ziehen.

Welche Interessen stehen dahinter?

Wenn mir zusammen mit einer Information ein Produkt oder eine Dienstleistung angeboten wird, sollte ich besonders wachsam sein. Denn wirtschaftliche Interessen können dazu führen, dass Risiken heruntergespielt, Alternativen verschwiegen oder unbequeme Studien ignoriert werden.

Ein Beispiel: Während viele Menschen schnell mit Kritik an „Big Pharma“ bei der Hand sind und sich vorstellen, wie Konzernchefs à la Dagobert Duck im Geld schwimmen, werden Nahrungsergänzungsmittel oft erstaunlich unkritisch betrachtet. Dabei ist das ebenfalls ein Milliardenmarkt – allein in Deutschland lag der Umsatz 2023 bei rund 1,78 Milliarden Euro, Tendenz steigend. Auch hier geht es also nicht nur um unser Wohl – sondern auch ums Geschäft. Deshalb: immer kritisch bleiben, egal ob bei Tablette oder Tinktur.

Gilt das überhaupt für mich?

Eine häufig übersehene, aber entscheidende Frage: Ist die Information überhaupt für mich relevant?

Ein einfaches Beispiel: Manche Medikamente sind zwar wirksam – aber bei einer bestehenden Schwangerschaft absolut kontraindiziert.

Hier zeigt sich auch ein grundlegendes Problem in der Arzneimittelforschung: Frauen sind in vielen Studien unterrepräsentiert oder werden ganz ausgeschlossen. Ebenso werden oft nur gesunde Probanden ohne Begleiterkrankungen (Komorbiditäten) untersucht. Die Folge: Die Wirksamkeit, Dosierung und Sicherheit vieler Medikamente wurde nie unter realen Bedingungen für alle relevanten Gruppen getestet. Schon im Tierversuch beginnt diese Verzerrung – und zieht sich bis in die klinische Praxis. Die Frage, ob eine Information wirklich auf die eigene Lebenssituation zutrifft, ist also alles andere als banal – sie kann entscheidend sein.

Habe ich mir all diese Fragen gestellt, bin ich jetzt vielleicht komplett verunsichert, frage mich, wem man überhaupt noch glauben kann, entwickle eine leichte Paranoia und verzichte lieber gänzlich auf alle Behandlungsmaßnahmen. Damit es nicht dazu kommt, hier die gute Nachricht: Es gibt Informationen, denen man trauen kann.

Was heißt evidenzbasiert?

Evi… was?! Man liest oft von „evidenzbasierter Medizin“ – als wäre das ein Qualitätssiegel. Aber Hand aufs Herz: Wer weiß wirklich, was das bedeutet?

Evidenz heißt so viel wie Beleg oder Beweis. „Evidenzbasierte Medizin“ ist also Medizin, deren Nutzen durch wissenschaftliche Beweise belegt ist. Klingt logisch – ist aber in der Praxis komplexer, als man denkt.

Nicht jede „Erfahrung“ ist ein Beweis

Natürlich gibt es viele Formen von „Evidenz“. Aber entscheidend ist die Qualität der Belege.

Wenn meine Nachbarin erzählt, dass ihr Mittelchen gegen alles hilft – und fünf andere aus ihrem Bekanntenkreis schwören ebenfalls darauf –, klingt das überzeugend. Doch wissenschaftlich ist das nicht. Das nennt man anekdotische Evidenz: persönliche Erfahrungen, die emotional sehr wirksam, aber wissenschaftlich schwach sind.

In der evidenzbasierten Medizin geht es darum, systematisch zu prüfen, ob eine bestimmte Behandlung bei einer bestimmten Krankheit tatsächlich wirkt – und zwar über größere, repräsentative Gruppen hinweg. Dafür braucht es klinische Studien, die nach klaren Regeln und unter kontrollierten Bedingungen durchgeführt werden.

Alles relativ: Warum es nie 100?% Sicherheit gibt

Vielleicht ist dir aufgefallen, dass ich Begriffe wie „meist“ oder „oft“ verwende. Das ist kein Zufall, sondern eine wichtige Angewohnheit in der Wissenschaft: Wir relativieren, weil wir mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten müssen.

Viele Menschen empfinden das als Schwäche und sagen: „Die wissen ja selbst nicht, was Sache ist!“ – Aber so funktioniert Wissenschaft. Absolute Sicherheit gibt es so gut wie nie. Stattdessen müssen wir uns mit Aussagen wie „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ oder „bei den meisten Betroffenen“ zufriedengeben.

Schon wenn ein Medikament bei 999.999 von einer Million Menschen wirkt, aber bei einer Person nicht – dann sind das eben keine 100?%. Und meist sind die Daten viel uneindeutiger. Das kann frustrierend sein. Vor allem, wenn man krank ist und dringend eine klare Antwort braucht.

Aber so ist die Realität: Eine einzelne Studie reicht nicht, um eine endgültige Aussage zu treffen. Wissenschaftliches Wissen entsteht Schritt für Schritt – Studie für Studie.

Warum Studien trotzdem das Beste sind, was wir haben

Auch wenn Studien Zeit brauchen (im Schnitt 10–15 Jahre bis zur Medikamentenzulassung) und nicht perfekt sind: Sie sind aktuell unsere verlässlichste Methode, um herauszufinden, ob etwas wirklich hilft.

Warum? Weil sie systematisch aufgebaut sind, mit klaren Kriterien, Kontrollgruppen und Kontrollmechanismen. Eine gute Studie fragt z.?B.:

  • Hilft die Behandlung tatsächlich – oder ist es nur der Placeboeffekt?
  • Ist sie besser als andere verfügbare Therapien?
  • Wirkt sie bei verschiedenen Menschen – in verschiedenen Altersgruppen, mit unterschiedlichen Vorerkrankungen?
  • Wie lange wirkt sie? Und in welcher Dosis?
  • Welche Nebenwirkungen treten auf?

Das alles kann die Nachbarin eben nicht beantworten.

Hinter jeder klinischen Studie steckt die Arbeit vieler Wissenschaftler*innen und Ärzt*innen – und die Bereitschaft von Freiwilligen, daran teilzunehmen. Das wischen wir viel zu oft achtlos beiseite und das finde ich sehr schade.  Diese Studien sind aufwendig, teuer, langwierig – aber auch entscheidend dafür, dass wir heute Krankheiten behandeln können, die früher unheilbar waren.

Wo finde ich echte Evidenz?

Wissenschaftlich fundierte Studien werden in Fachzeitschriften veröffentlicht – meist nach einem Peer-Review, also einer unabhängigen Begutachtung durch andere Forschende. Das sind die Quellen, auf die sich Gesundheitsinformationen im Netz berufen sollten – nicht auf Erfahrungsberichte oder Werbung.

Und ich bin gerne die Erste, die zugibt, dass sich solche Forschungsartikel nicht gerade lesen, wie der nächste Harry Potter Band – aber sie sind die Grundlage dafür, dass evidenzbasierte Medizin funktioniert.

Fazit:
Evidenzbasiert heißt nicht „perfekt“. Es heißt: so verlässlich wie möglich – basierend auf dem besten verfügbaren Wissen. Und genau das brauchen wir, wenn es um unsere Gesundheit geht.

Wie beurteile ich eine Quelle?

Natürlich ist es etwas viel verlangt, dass man anfängt wissenschaftliche Abhandlungen zu lesen, nur weil man etwas gegen Blähungen sucht. Zum Glück gibt es Informationsseiten, die das Wissen aus Studien und Fachartikeln allgemeinverständlich aufbereiten.

Doch auch hier gilt: Nicht alles, was vertrauenswürdig aussieht, ist es auch. Mit ein paar einfachen Kriterien lässt sich die Verlässlichkeit von Gesundheitsinformationen gut einschätzen:

1. Wissenschaftliche Quellen

Verlässliche Inhalte stützen sich auf klinische Studien oder Metaanalysen (also Zusammenfassungen mehrerer Studien), nicht bloß auf Tierversuche oder persönliche Erfahrungsberichte. Letztere können hilfreich sein, haben aber keinen wissenschaftlichen Beweiswert.

2. Aktualität

Wissenschaft entwickelt sich ständig weiter. Eine gute Quelle bezieht sich deshalb auf aktuelle Studien (idealerweise nicht älter als ein paar Jahre). Auch wann ein Artikel zuletzt überarbeitet wurde, ist wichtig – vor allem bei sich schnell verändernden Themen wie Medikamenten oder Therapien.

3. Ausgewogene Darstellung

Jede Behandlung hat potenzielle Vor- und Nachteile. Seriöse Seiten benennen nicht nur mögliche Nutzen, sondern auch Risiken, Nebenwirkungen und Unsicherheiten. Wissenschaft ist selten absolut – deshalb gehört auch ein „Das wissen wir – und das wissen wir (noch) nicht“ dazu.

Achtung: Wenn eine Seite damit wirbt, dass ein Mittel „gar keine Nebenwirkungen“ hat, lohnt sich ein genauerer Blick: Vielleicht hat es dann auch keine Wirkung.

4. Neutralität

Wenn eine vermeintlich neutrale Seite gleichzeitig für ein Produkt wirbt, direkte Kauflinks einbindet oder Angst macht („wenn Sie jetzt nichts tun, wird alles schlimmer“), ist Skepsis angebracht. Hier stehen oft kommerzielle Interessen im Vordergrund.

5. Transparenz

Gute Quellen legen offen, woher ihre Informationen stammen: Welche Studien wurden genutzt? Wie wurden sie ausgewählt? Welche Kriterien lagen der Recherche zugrunde?

6. Verantwortliche & Interessen

Es sollte klar ersichtlich sein, wer für den Inhalt verantwortlich ist – idealerweise mit Angabe von Qualifikation, Fachrichtung oder institutionellem Hintergrund. Auch eine mögliche Finanzierung oder ein Sponsoring sollte transparent gemacht werden.

Seriöse Informationsquellen – ein paar Beispiele

(ohne Anspruch auf Vollständigkeit)

Allgemeine Gesundheitsinformationen:

Gesundheitsinformation.de 

Patientenleitlinien 

Spezielle Informationen rund um Krebs:

Der Krebsinformationsdienst 

ONKO-Internetportal 

Fazit: Gute Informationen machen nicht immer glücklich, aber sie helfen

Zugegeben: Wissenschaftliche Informationen sind oft komplex, voller Fachbegriffe, selten eindeutig und werden meist von unnahbar wirkenden Expert*innen im weißen Kittel vorgetragen, die auf Fachgebieten tätig sind, von denen wir vorher noch nie etwas gehört haben. Das kann frustrierend sein. Gerade dann wirken einfache Antworten von sympathischen Gesichtern in sozialen Medien oder im nahen Umkreis besonders anziehend. Sie geben Hoffnung, sprechen in Alltagssprache und vermitteln das Gefühl: "Du wirst gesehen."

Ich verstehe das nur zu gut. Auch ich bin nicht frei davon. Denn dieses gute Gefühl fehlt in der klassischen Medizin leider oft. Aber: Ein gutes Gefühl ist leider kein wissenschaftlicher Beweis.

Verlässliche Gesundheitsinformationen liefern keine Wunder, aber sie schützen uns vor falschen Hoffnungen und teuren Irrwegen. Sie beruhen auf Forschung, Fakten und vielen Jahren Arbeit von Menschen, die sich der Wissenschaft verpflichtet fühlen.

Darauf gebe ich mein Wissenschaftlerinnen-Ehrenwort!

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Zuletzt geändert am: 21.07.2025
Autor: Redaktion StärkergegenKrebs

Dr.sc.med. Violet Handtke

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Berkman ND, Lohr KN, Ansari MT, Balk EM, Kane R, McDonagh M, Morton SC, Viswanathan M, Bass EB, Butler M, Gartlehner G, Hartling L, McPheeters M, Morgan LC, Reston J, Sista P, Whitlock E, Chang S. (2015) Grading the strength of a body of evidence when assessing health care interventions: an EPC update. In: Journal of Clinical Epidemiology. 68(11), S.1312-24.

J., A. (2024) Frauen leben länger – aber kränker. In: DocCheck. https://www.doccheck.com/de/detail/articles/47514-frauen-leben-laenger-aber-kraenker; Letzter Abruf: 21.07.2025

World Economic Forum (2024) Closing the Women’s Health Gap: A $1 Trillion Opportunity to Improve Lives and Economies. https://www3.weforum.org/docs/WEF_Closing_the_Women%E2%80%99s_Health_Gap_2024.pdf; Letzter Abruf: 21.07.2025

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